Die drei Wahrheiten
Lassen Sie uns drei Arten von Wahrheit definieren: Objektive Wahrheit, subjektive Wahrheit und vorgegebene Wahrheit. Um diese drei Wahrheiten zu verstehen betrachten wir einen Apfel, der von einem Baum fällt. Wir können wahrnehmen, dass er sich von oben Richtung Erdboden bewegt, welche Farbe er hat, in welcher Entfernung zum Baumstamm er sich befindet und auch das Geräusch beim Auftreffen. Wenn wir aber alle Prozesse berücksichtigen, die während des Fallens des Apfels tatsächlich stattfinden, so wird es ein wenig komplexer. Eine Auswahl:
- Während des Fallens ändert der Apfel seine Geschwindigkeit und wird immer schneller. Dabei verdrängt Luftmoleküle, die sich unter ihm befinden und erzeugt einen Luftwirbel über ihm. Beides behindert die weitere Geschwindigkeitszunahme, sodass die Geschwindigkeit zwar steigt, aber nicht mehr so schnell wie am Anfang des Falls.
- Jeder einzelne Massepunkt, welcher den Apfel umgibt, zieht ihn an: Jedes Blatt des Baums, jede Wolke am Himmel zieht ihn nach oben, der Baumstamm zur Seite, die Erde nach unten. Da sich die meisten Massenpunkte in Richtung der Erde befinden, ist die Kraft dorthin am größten und der Apfel fällt. Die Anziehungskraft der Massepunkte, die näher am Apfel sind, ist dabei größer als die, die weiter entfernt sind.
- Der Apfel wird fortwährend von Strahlung getroffen, dabei absorbiert er bestimmte Strahlungsanteile, sendet dafür wieder eigene Strahlung ab und reflektiert einen Teil der Strahlung einfach. Ein Teil der reflektierten Strahlung trifft in Ihrem Auge auf die Netzhaut, welche fortwährend ein Signal an das Gehirn sendet.
- Beim Auftreffen auf den Boden, werden die Moleküle des Bodens und des Apfels kurzzeitig enger zusammengedrückt und relaxieren danach wieder, sodass eine Schallwelle entsteht.
Und obwohl der Schall bei Ihnen deutlich verzögert zu der Lichtstrahlung ankommt, haben Sie das Gefühl, das beides synchron passiert. Auch diese Ausführungen sind eine sehr verkürzte Darstellung der tatsächlich stattfindenden Prozesse während des Fallens des Apfels.
Lassen Sie uns unterscheiden zwischen dem tatsächlichen Prozess und Ihrer Wahrnehmung des Prozesses. Der tatsächliche Prozess umfasst all die vielfältigen, komplexen Bestandteile der obigen Liste. Es ist ersichtlich, dass nur ein Bruchteil davon Eingang in Ihre Wahrnehmung findet. Tatsächlich muss das Gehirn während der Apfel fällt fortwährend eine Abbildung des Prozesses in Ihrem Kopf erschaffen. Sie sehen nicht den tatsächlichen Prozess, Sie sehen die durch Sie für Sie geschaffene Abbildung des Prozesses.
Der Apfel fällt in Ihrem Kopf.
Dies bedeutet natürlich nicht, dass nicht real tatsächlich etwas passiert, was Ihnen den Anlass gibt, einen fallenden Apfel zu sehen. Nach allem was wir wissen, sind wir umgeben von der Realität, die existiert und stattfindet, unabhängig davon ob wir sie wahrnehmen und in unseren Köpfen nachbilden oder nicht. Die objektive Wahrheit soll sich also auf die Realität beziehen, die uns umgibt. Sie ist da, und sie ist wie sie ist. Egal was Sie davon halten. Die subjektive Wahrheit bezieht sich auf Ihre Abbildung dieser Wahrheit.
Was die räumliche Welt angeht, so befähigt uns unsere subjektive Wahrheit zumeist sehr gut dazu, sich in der objektiven Wahrheit zu bewegen und in ihr zu Handeln. So nutzen wir die Erdanziehungskraft, und drücken uns auf richtige Art und Weise vom Boden ab, um zu Gehen. Dafür ist ein ausgefeiltes Zusammenspiel von Sensorik und Muskulatur nötig. Was wäre aber, wenn Ihr Gehirn die durch die Sensoren erhaltenen Informationen falsch interpretiert und eine fehlerhafte visuelle Abbildung schafft? So könnten Sie ein Hindernis „übersehen“ (nicht wahrnehmen), in welches Sie dann hineinlaufen. Dies ist (abhängig von dem Hindernis) eine sehr unschöne Erfahrung, die es zu vermeiden gilt.
Eine Laterne, welche sich nunmal in der Realität vor Ihnen befindet, sollte auch Teil Ihrer subjektiven Wahrheit sein: Alles andere hätte katastrophale Folgen für Sie, um die sich die objektive Wahrheit herzlich wenig schert. Die Realität ist gegenüber uns ziemlich unpersönlich - unser Schicksal interessiert sie weder im Guten noch im Schlechten. Wenn es um die räumliche Welt (und die nächste Laterne in ihr) geht, haben wir also ein großes Interesse daran, dass unsere subjektive Wahrheit und die objektive Wahrheit sich nicht allzu sehr unterscheiden.
Anmerkung: Es ist bekannt, dass das Gehirn durchaus Abkürzungen vornimmt, indem es Sachen weglässt, verstärkt oder verändert. Diese Modifikationen dienen dazu, die für uns relevanten Wahrheiten hervorzuheben. Es findet also durchaus eine Verfälschung der Wahrheit statt, die aber letztlich auch wieder dazu dient, uns die möglichst geschmeidige Bewegung in der objektiven Wahrheit zu ermöglichen.